Tipps für Interviewer

Augenzwinkernde Einblicke in meine Scheibpraxis

Es gibt Menschen, für die ist es die schönste Sache der Welt, andere auszufragen.

Im Volksmund nennt man sie Schnüffler oder Naseweise. Ich sage Handwerk. Wir Schreiberlinge sind angewiesen auf den nötigen Input von außen. Denn emsige Kommunikation liefert uns Steilvorlagen für reißerische Geschichten. Und die will jeder Leser präsentiert bekommen.
Anders als Sachbuchautoren oder Journalisten, sollte man in der fiktionalen Literatur niemals Personen aus dem alltäglichen Umfeld verwurschteln. Sie könnten sich erkennen, ertappt fühlen und womöglich bekäme man beim Bäcker kein Brötchen mehr gereicht.

Wie also stellt man diese Fragerei an, sodass dem Befragten entgeht, dass er sich als Vorlage für ein literarisches Werk anschickt?

 

Punkt 1: Sei ein Fisch.

Sage niemals, dass du gerade dabei bist, ein Buch zu schreiben. Bleibe stumm wie ein Karpfen. Und wenn du bekannter Weise schon mehrere Bestseller abgeliefert hast, dann betone, dass der Letzte dich deiner Kräfte beraubt hat, dass du Schlafprobleme bekommst, wenn du dir einen Word-Bildschirm auch nur vorstellst. Das Notizbuch in deiner Hand dient nur deiner persönlichen Weiterentwicklung. Du führst gerade ein Ernährungstagebuch, weil dir der vergangene Schreibjob mehrere Kilos auf die Rippen gezaubert hat. Oder du durchläufst einen psychotherapeutischen Ritus und musst ständig deine Gedanken notieren, um sie später mit deinem Therapeuten zu erörtern.
Nein. Sag am besten gar nichts.

Punkt 2: Sei eine Fliege

Sie ist die Meisterin des Blickwinkels. Mit ihren Facettenaugen hat Frau Puck den perfekten Rundumblick. Ihr entgeht nicht das kleinste Detail.
Notiere dir alle Ansichten, die du bekommen kannst, und seien sie für dich noch so abwegig und schwer nachvollziehbar. Denn du schreibst über andere, egal ob Journalist oder Romanautor. Es ist die Sicht anderer, die dich zu interessieren hat.
Deine eigene Meinung kannst du in deinen Memoiren zum Besten geben. Wenn du den zehnten Bestseller abgelegt hast. Oder der Pulitzer-Preis in deinem Regal verstaubt.
Sei ein Mensch der tausend Augen.
 

Punkt 3: Sei ein Bär.

Recherchearbeit gleicht  weniger einem Sprint, mehr einem Langstreckenlauf. Da ist Meister Petz Fachmann.
Die interessantesten Menschen sind keine Schwätzer. Sie drängen sich nicht auf, sondern halten mit ihrem Wissen gekonnt hinterm Berg.
Sei ein Gelände noch so unwirtlich und schwer zugängig, der Bär ist stark und trabt Tatze für Tatze durch die Wildnis. 
Wenn du an Informationen kommen willst, sei ausdauernd und bleib dran, bis dein Büchlein voll ist.

Punkt 4: Sei eine Schlange

Keine Sorge. Es kommt jetzt keine Plattitüde von wegen hinterhältig sein und sich überall durchschlängeln.  Das ist selbst mir als Belletristik Autorin zu flach.
Schlangen besitzen die Fähigkeit, ihre Haut abzustreifen, wenn sie ihnen nicht mehr dient. 
Daher mein Rat: Entwickle dich mit der Wahl deiner Interviewpartner. Natürlich ist es prima zu behaupten, das Vorbild für deinen ersten Roman sei ein Aufsichtsratsvorsitzender eines internationalen Großkonzerns gewesen, der dich zu dem sexy Millionärs-Protagonisten inspiriert hat.

Zum einen weiß man, dass diese nur in absoluten Ausnahmenfällen dem Kaliber eines Henry Cavill entsprechen. Zum anderen wird man dir diese Finte nicht abnehmen.
Wenn es nicht gerade dein Onkel Theo ist, den du löchern kannst zur Vergasung, um an die nötigen Infos zu kommen, dann wirst du auf eine Anfrage wahrscheinlich nicht einmal eine Reaktion, geschweige denn eine Absage erhalten. Alles zu seiner Zeit. 
Es erfordert Geduld, wie die Schlange sie beweisen muss, wenn sie ausharrt, bis das Mäuslein aus seinem Loch schlüpft, um dann im perfekten Moment zuzuschnappen.

Punkt 5: Sei ein Fuchs.

Ein gewisses Maß an Gerissenheit ist hilfreich, keine Frage. Dein Opfer wird nicht merken, dass es schamlos ausgehorcht wird. Dennoch besitzt der Fuchs eine ausgesprochen soziale Ader. Zumindest, was den Stadtfuchs betrifft, der im Rudel lebt, sich gegenseitig unterstützt und erlegte Beute untereinander teilt.
Der Landfuchs ist ein Einzelgänger, der radikal und bis aufs Blut sein Revier verteidigt.
Entscheide weise und sozial, wie du mit Informationen umgehst, die du erhältst. Du könntest Folgen kreieren, die mehr schmerzen, als verbrannte Pfoten.

Punkt 5: Sei ein Adler.

Der König der Lüfte, der Meister der Draufsicht. Er hat so gut wie keine natürlichen Feinde. Er lebt im Fluss der Lüfte. So wie du, wenn du die nötigen Impulse einheimst hast.
Doch ist es hoch oben in den Bergen auch einsam und kalt. Sei ehrlich. Fühlt es sich gut an, so alleine an deinem Bildschirm, an dem du jetzt sitzt und diesen Blogbeitrag liest?
Wann bist du zum letzten abends in fröhlicher Runde gesessen, ohne das imaginäre Notizbuch in deinem Hinterkopf, auf der Lauer, ob nicht im Gesagten des Gegenüber die nächste Story, der nächste Bestseller lauert?

Überlegst du gerade, wen du anrufen könntest, um dich auf ein Glas Wein zu treffen, oder es lieber lassen solltest? Ach ja. Eine Bekannte hat dir gesteckt, dass man dich nicht gerne einlädt, weil du so eine Spaßbremse bist, nie ein Wort zur Konversation beiträgst.

Kein Wunder. Multitasking ist ein Mythos. Reden und gleichzeitig Notizen machen schafft ein Raum-Zeit-Kontinuum, das selbst Buck Rogers den Schweiß auf die Stirn triebe.

Kommen wir zu guter Letzt zu Punkt 6:

Menschen sind soziale Wesen. Wir brauchen Kommunikation. Kommunikation ist Geben und Nehmen. Sie lebt von einem regen Austausch. Also, sei nicht geizig mit deiner Zuwendung. Lass auch mal was von dir heraus. Geh Leuten offen entgegen, die sich für dich interessieren. Lade sie auf eine Tasse Kaffee ein, oder zu einem Ticket fürs Theater. Da könnte man sich dann über die Aufführung unterhalten, und so nebenbei etwas über sich einfließen lassen. Ich selbst notiere mir diese Ratschläge allabendlich mantragleich in mein Büchlein. Hilft es? Nun, ich sitze hier und schreibe diesen schlauen Artikel.

Der Beruf kann einsam machen. Lass es nicht zu, dass du in deinem Wohnführort versauerst.

Also, sei ein Mensch.

Und glaube daran, dass es da draußen Menschen gibt, die deine Masken durchschauen. Oder denen diese schlichtweg egal sind. Oder denen du egal bist, unabhängig von deinen Verkaufs-, Auflage- oder Followerzahlen.

Andererseits sei dir in deiner Einsamkeit auch gesagt: es gibt da draußen auch jemanden, der dich mehr liebt, als du es dir vorstellen kannst. Und der dir das sagen möchte. Zumindest ein Mal. 
Glaube daran. Und go with the flow.